Selbstmitgefühl: Wie du lernst, weniger hart zu dir selbst zu sein

Stell dir vor, deiner besten Freundin oder einem lieben Freund ist etwas ganz Blödes passiert. Sie war einen Moment unachtsam und hat eine Schramme in ihr Auto gemacht. Sie ruft dich an und erzählt dir unter Tränen die ganze Geschichte. Wie würdest du reagieren? Was würdest du sagen? Nimm dir einen Moment Zeit und spiele das in deinem Kopf durch. Vermutlich würdest du ihr sagen: „Ich kann verstehen, dass du dich ärgerst, aber es ist nur ein Auto. Es lässt sich wieder reparieren, und Gott sei Dank ist dir nichts passiert. Ja, du hättest konzentrierter sein können, aber wir sind alle nur Menschen. Manchmal passieren uns blöde Dinge. Du wirst sehen, morgen sieht die Welt schon wieder viel besser aus.“

JETZT stell dir vor, es ist ein anderer Tag, und dir ist etwas ganz Blödes passiert. Du warst einen Moment unachtsam und hast beim Einparken einen Kratzer in dein Auto gemacht. Und jetzt spiele in Gedanken durch, wie du mit dir selbst sprechen würdest. Wie würdest du reagieren? Was würdest du sagen? Nimm dir einen Moment Zeit. Vermutlich würdest du sagen: „Wie kann man nur so blöd sein? Warum kann ich nicht aufpassen? Das ist ja wieder mal typisch, dass so etwas mir passiert! Ich bin so blöd, jetzt habe ich den ganzen Aufwand, den Schaden wieder zu beheben. Und nur weil ich wieder mal nicht bei der Sache war. Was das wieder kosten wird!! Und völlig unnötig…“

Merkst du den Unterschied zwischen dem Gespräch mit deiner Freundin und dem Selbstgespräch mit dir?

Die Wahrheit ist: Niemanden behandeln wir so schlecht, hart und unnachgiebig wie uns selbst.

Das bringt Schwere in unseren Alltag. Wenn du dir also Leichtigkeit wünschst, ist es wichtig, genau hier anzusetzen. Denn was wirklich Leichtigkeit in dein Leben bringt, ist: Selbstmitgefühl.

Warum Selbstmitgefühl?

Selbstmitgefühl ist nichts, was jahrelange, harte Arbeit braucht. Es heißt im ersten Schritt, uns selbst wie eine gute Freundin zu behandeln. Aber was gewinnst du, wenn du dich wie deine allerbeste, wohlwollendste Freundin behandelst? Was verändert sich in deinem Leben? So viel!

• Du wirst nachsichtiger mit dir: Selbstmitgefühl bedeutet, dass du lernst, geduldiger und verständnisvoller mit dir selbst umzugehen. Anstatt dich für Fehler oder Schwächen zu verurteilen, erkennst du an, dass du menschlich bist und Unvollkommenheiten dazu gehören. Du gestehst dir selbst Fehler und Misserfolge zu, ohne dich dafür zu bestrafen.
• Du gehst liebevoller mit dir um: Selbstmitgefühl ermöglicht es dir, dich selbst mit der Liebe und Fürsorge zu behandeln, die du normalerweise für geliebte Menschen aufbringst. Du entwickelst ein gesundes Selbstwertgefühl und lernst, dich selbst wertzuschätzen, unabhängig von äußeren Bewertungen oder Erfolgen.
• Ereignisse, die du selbst verursacht hast, bekommen nicht mehr so viel Gewicht: Wenn du einen Fehler gemacht hast, neigst du nicht mehr dazu, dich selbst dafür zu verurteilen. Du verstehst, dass solche Ereignisse natürliche Bestandteile des Lebens sind, und nutzt sie als Gelegenheit zur persönlichen Weiterentwicklung.
• Du erlaubst dir, Fehler zu machen: Selbstmitgefühl lehrt dich, dass Fehler Teil des Lernprozesses sind. Anstatt dich für Fehler zu bestrafen, siehst du sie als Chancen, aus ihnen zu lernen und dich weiterzuentwickeln. Du erlaubst dir, menschlich zu sein und die Unvollkommenheiten anzunehmen.
• Du erlaubst dir, müde oder grantig zu sein: Selbstmitgefühl bedeutet, dass du deine eigenen Emotionen und Stimmungsschwankungen akzeptierst. Du verstehst, dass es Tage geben wird, an denen du müde, gestresst oder grantig bist. Anstatt dich dafür zu kritisieren, erlaubst du dir, diese Gefühle anzunehmen, ohne sie zu verurteilen. Du gestehst dir zu, dass auch diese Zustände vorübergehend sind und zur menschlichen Erfahrung gehören.

Wie trainierst du also Selbstmitgefühl im Alltag?

Selbstmitgefühl kann im Alltag trainiert werden, und es gibt einige Schritte, die dir dabei helfen können:

1. Selbstbeobachtung: Beobachte deine Gedanken und Gefühle, insbesondere in Momenten, in denen etwas nicht so optimal läuft. Erkenne, wann du dir selbst gegenüber hart oder kritisch bist. Identifiziere und benenne die negativen Selbstgespräche und Gedanken, die in solchen Momenten auftauchen. Sieh sie als das, was sie sind: Gedanken, nicht unumstößliche Wahrheiten. Das kann im ersten Moment unangenehm sein, weil dir auffällt, wie oft das im Alltag der Fall ist. Das ist ok! In diesem ersten Schritt geht es nicht darum, sofort etwas zu verändern, sondern einfach einmal wahrzunehmen, wie du mit dir sprichst.

2. Mitgefühl üben: Wenn du dich eine Zeit lang beobachtet hast, das können mehrere Wochen sein, mach den Vergleichscheck. Das heißt: Wenn du besonders hart und unnachgiebig mit dir selbst bist, stelle dir vor was du deiner Freundin / deinem Freund in dieser Situation sagen würdest. Spüre den Unterschied.

3. Akzeptiere deine Unvollkommenheit: Niemand ist perfekt, und Fehler gehören zum Leben dazu. Akzeptiere sie als Chancen zur Weiterentwicklung.

4. Achte auf deine Sprache: „Ich hätte ja.“ oder „Warum hab´ ich nicht?“ oder „Warum hab´ ich?“ Das ist alles versteckte Härte. Ja, du hättest ein Essen vorkochen können dann wärst du nicht in Stress gekommen. Hast du aber nicht. Weil du ein Mensch bist. „Ja, du hättest besser planen können.“ Hast du aber nicht. Weil du in dem Moment das Beste gegeben hast.

5. Geh davon aus, dass du immer das Beste gibst und sei geduldig mit dir selbst: Verändere deine innere Erwartungshaltung. Gib dir Zeit, um Selbstmitgefühl zu entwickeln, da es ein Prozess ist. Du wirst vielleicht nicht sofort perfekt darin sein, aber das ist völlig in Ordnung.

Indem du diese Schritte im Alltag praktizierst, kannst du allmählich Selbstmitgefühl entwickeln und die Art und Weise, wie du mit dir selbst umgehst.